Idee für den Heiratsantrag: Planetarium
Kühle Luft drang in den Wartebereich, als sich die beiden großen Türen zum Vorführraum des Planetariums öffneten. Der Duft erinnerte Sarah an künstlichen Nebel, der bei einem Konzert langsam von der Bühne zum Publikum hinabsinkt.
Es war ihr erster Besuch im Planetarium. Ihr Freund Thomas hatte sie dazu eingeladen, weil er nicht hatte glauben können, dass ausgerechnet sie, die beim Zappen an jeder Weltraum-Doku hängen blieb, noch nie in einem Planetarium gewesen war – im „IMAX der Weltraum-Dokumentationen“, wie er es nannte.
Beim Eintreten ging Thomas sofort auf die vorderste Sitzreihe zu. Sarah zögerte und meinte, dass man weiter hinten einen besseren Blick auf die kuppelförmige Projektionsfläche hätte. Doch Thomas hielt nur kurz inne, zog dann sanft an ihrer Hand und steuerte weiter auf sein Ziel zu. „Nein, vorne ist es am besten, glaub mir“, sagte er hastig und wirkte dabei beinahe nervös. Sarah fragte nicht weiter nach und folgte ihm zur vordersten Reihe.
Nachdem sie in den großen, dunklen Sesseln Platz genommen hatten, begrüßte eine Mitarbeiterin des Planetariums die Gäste und erzählte von der bevorstehenden Vorstellung. „Wir werden uns heute mit Monden beschäftigen. Angefangen bei unserem eigenen Erdtrabanten bis hin zu den riesigen Himmelskörpern, die den Jupiter umkreisen“, fasste sie kurz zusammen.
Zufrieden drückte Sarah ihrem Freund einen Kuss auf die Wange. Sie wusste, dass er die Wahl bewusst getroffen hatte – obwohl (oder gerade weil) er sie manchmal damit aufzog, dass sie auch mit 28 Jahren noch großer „Sailor Moon“-Fan war.
Ähnlich wie im Kino ging nun im Planetarium das Licht aus, doch statt einer Leinwand leuchtete plötzlich die gesamte Raumdecke auf und zeigte eine Darstellung der Milchstraße. Das Bild setzte sich in Bewegung und bei den Zuschauenden entstand der Eindruck, sich mitsamt dem Saal auf einen der äußeren Galaxie-Arme zuzubewegen. Vorbei an unzähligen Sternen ging es auf einen kleinen leuchtenden Punkt zu, bei dem es sich um unsere Sonne handelte. Beim Eintritt ins Sonnensystem zogen die Gasriesen Jupiter und Saturn an Sarahs Seite vorbei und vor ihr erschien kurze Zeit später die wunderschöne blaue Weltraum-Kugel, welche wir Menschen unser Zuhause nennen.
Sarah war begeistert von der Präsentation, von den Bildern und der Vorstellung, wie unbegreiflich groß unser Universum sein musste. Fasziniert lauschte sie den Worten der Planetariumsmitarbeiterin, die gerade über die Distanz zwischen Erde und Mond berichtete und anhand der Planetenbewegung zeigte, wie diese variieren kann.
Dabei bemerkte Sarah gar nicht, wie angespannt ihr Freund neben ihr wirkte. Thomas rieb sich in unregelmäßigen Abständen die Hände an seinen Hosenbeinen, und als die Planetariumsmitarbeiterin begann, über menschengemachte Objekte auf der Mondoberfläche zu sprechen, überkam ihn das Gefühl, der ganze Saal könnte seinen Herzschlag hören.
Von den Überresten des Apollo-11-Landemoduls, welches die ersten Astronauten zum Mond gebracht hat, ging es weiter zur amerikanischen Flagge, die laut der Kommentatorin aufgrund der ungefilterten Sonneneinstrahlung mittlerweile vollkommen bleich geworden sei und schließlich zu einer Art Spiegel, mit dem sich die Distanz zwischen Erde und Mond mittels eines Laserstrahls messen ließe. „Doch das wahrscheinlich wertvollste Objekt, das die Menschen auf dem Mond zurückgelassen haben, ist ein Stück Papier”, erzählte sie, und als sich das Bild wieder in Bewegung setzte, ergänzte sie: „Es wurde vor Kurzem von einem jungen Mann namens Thomas unweit der Landestelle von Apollo 11 hinterlegt. Zwar handelt es sich dabei um ein gewöhnliches Stück Papier, doch was es immens wertvoll macht, ist die Frage, die darauf geschrieben steht.”
Bereits die Nennung des Namens Thomas hatte Sarah etwas irritiert. Nun blickte sie zur Decke und schnappte nach Luft. Auf der Kuppel über ihr, wo die Oberfläche des Mondes abgebildet wurde, war ein Stück Papier zu sehen, auf dem in großen Lettern geschrieben stand: „Sarah, das Universum mag unendlich groß sein, doch in all den Galaxien da draußen werde ich nichts finden, was ich so sehr liebe wie dich. Möchtest du meine Frau werden?”
Noch ehe Sarah das Gelesene verarbeiten konnte, ging im Saal das Licht an und Thomas kniete vor ihr. In seiner zittrigen Hand hielt er einen Ring. Während unaufhaltsam Tränen in ihre Augen stiegen und ihr Kreislauf sich einer Belastungsprobe unterzog, die wahrscheinlich kein Astronautentest der Welt simulieren könnte, schaffte Sarah es, ein kaum hörbares „Ja” auszusprechen. Erst als Thomas aufstand, um sie in seine Arme springen zu lassen, kannten auch die übrigen Planetariumsgäste ihre Antwort und begannen laut zu applaudieren.

